Der
Narr spricht in seinem
Herzen: »Es gibt keinen Gott!« Sie handeln verderblich, und
abscheulich ist ihr Tun; da ist keiner, der Gutes tut. Der Herr
schaut vom Himmel auf die Menschenkinder, um zu sehen, ob es einen
Verständigen gibt, einen, der nach Gott fragt. Sie sind alle
abgewichen, allesamt verdorben; es gibt keinen, der Gutes tut, auch
nicht einen einzigen!
(Psalm 14, 1 – 3)
Es
gibt zwei anti-theistische Schriftsteller, die mich seit vielen
Jahren durch ihre Bücher begleiten. Einer lebt noch, der andere ist
seit über 100 Jahren tot. Dieser zweite ist der Philologe und
Philosoph Friedrich Nietzsche. Seine Werke lese ich immer wieder und
finde sie sehr anregend – wenngleich ich ihm natürlich in vielem
widerspreche. Nietzsche war nicht nur Denker, er war auch (und
vielleicht in erster Linie) Künstler. Als solcher hatte er reichen
Einblick in die Seelenwelt seiner Zeit und war stets auf der Suche
nach Worten, die diese möglichst gut wiedergeben.
Regelmäßig
wird seine wunderschöne und fesselnde Beschreibung vom „Tod
Gottes“ so gedeutet, dass Nietzsche deshalb glücklich gewesen sei,
dass Gott endlich tot sei. Im ersten Moment könnte man es ja
tatsächlich meinen; gerade wenn man bedenkt, dass Nietzsche sich in
vielen Schriften scharf gegen das Christentum ausgesprochen hat. Doch
diese Rede vom „Tod Gottes“ war kein Triumph Nietzsches, es war
eine Feststellung von etwas, was er als bereits vollzogen betrachtete
und nun versuchte, zu erkennen, welche Folgen sich daraus ergaben.
Die
Zeit, in der Nietzsche lebte, war eine Zeit der hochfliegenden
Gefühle technologischen und wissenschaftlichen Fortschritts. Alles
könnte möglich werden – die Wissenschaft wird es richten. Der
Mensch war vom Rausche dieser Entdeckungen und Erfindungen wie
benebelt. Immer mehr Menschen fragten sich, ob der christliche
„Lückenbüßer-Gott“ (der zur damaligen Zeit von vielen Menschen
nur noch gebraucht wurde, um das Unerklärliche zu erklären) noch
nötig sei. Darwin hatte eine Behauptung aufgestellt, die womöglich
zeigen könnte, dass das Leben aus unbelebter Materie entstanden und
der Mensch lediglich ein Nachkomme der Affen sein könne.
So
hat Nietzsche dieses Gefühl seiner Zeit aufgefangen und im Tode
Gottes verarbeitet. Das war für ihn zunächst einfach eine
Feststellung: Wir Menschen haben uns so weit in unserem Denken
entwickelt, dass wir Gott hinter uns lassen können. Doch was folgt
nun daraus? Dies war die eigentliche Frage, der Nietzsche sein Leben
lang nachgegangen war. Mit bestechender Klarheit sah Nietzsche, dass
die ganze humanistische Moral auf der Grundlage des christlichen
Gottesglaubens aufgebaut war. Selbstbeherrschung, Mitleid,
Barmherzigkeit, Hilfsbereitschaft, Freiheit, Gleichheit,
Brüderlichkeit, die ganzen Werte der französischen Revolution waren
auf dem Boden des christlichen Glaubens entstanden; man hat lediglich
versucht, diese Werte zu säkularisieren. So entstand in Nietzsche
die Frage, wie man dieses Vakuum, das entstanden war, füllen könnte.
G. K. Chesterton sagte, dass überall, wo man nicht mehr an Gott
glauben würde, plötzlich alles geglaubt wird.
Für
Nietzsche war klar: Etwas Neues musste her; oder besser gesagt etwas
Altes in einem neuen Gewand. Das war die Geburtsstunde des
Zarathustra. Um diese Figur Zarathustra herum soll ein neuer Glaube
entstehen, welcher viele Elemente des alten Griechentums besitzt. Das
war nämlich die größte Zeit für Nietzsche: Das klassische
Altertum der Griechen vor Sokrates. Und welches sollten die neuen
Werte sein? Nietzsche sprach gern von der „Umwerthung aller
Werthe“, das bedeutete, dass alle Werte auf ihre Herkunft und ihren
Nutzen untersucht werden sollten. Ins Zentrum stellt er das
Dionysische, die Ekstase, das Außer-sich-Sein. Dionysos war bei den
Griechen der Gott des Weines, der ekstatischen Freude und der Orgien.
Alles, was dies Ekstatische hemmt, ist für Nietzsche etwas
Schlechtes und deshalb ein Unwert.
Die
Geschichte hat gezeigt, wohin eine gottlose Gesellschaft kommt. Sie
wird keineswegs frei, sondern vielmehr wird dort immer der Schwache
zum Sklaven des Stärkeren. Das hat übrigens schon Nietzsche
vorausgesehen. Für ihn schien es das Normale zu sein. Ein
Jahrhundert der Sozialismen brauner und roter Couleur hat die Folgen
der Gottlosigkeit in aller Grausamkeit gezeigt. Der Mensch, der auf
sich selbst geworfen ist, wird zum Knecht seiner Verderbtheit und ist
so schnell zu allem Möglichen bereit, wozu er fähig ist.
Der
„Neue Atheismus“ ist eigentlich ein alter Atheismus, der
lediglich lange Zeit wusste, wie unglaubwürdig er ist. Das wurde nun
vergessen oder besser gesagt verdrängt und kommt nun im Gewand eines
neuen Atheismus zum Vorschein. Richard Dawkins etwa, ein wichtiger
Protagonist dieses „Neuen Atheismus“, ist der zweite Anti-Theist,
den ich sehr gerne lese. Es gibt kaum einen zweiten Wissenschaftler,
der so anschaulich erklären kann wie er. Das bewundere ich sehr an
ihm.
In
einem war aber Nietzsche weiter als Dawkins: Nietzsche wusste, dass
die Moral des Humanismus und der französischen Revolution genuin
christlich sind. Dawkins hingegen hält diese Moral für etwas, was
sich im Zuge der Evolution gebildet haben soll. In seinem ersten
wichtigen Buch, dem „Egoistischen Gen“ versucht er die Evolution
aus Sicht eines solchen Gens zu beschreiben: Die Gene sind in
Konkurrenz miteinander in der Ursuppe, jedes versucht zu überleben,
da die Nährstoffe nur für die besten Gene ausreichen. Irgendwann
kommen Genreplikatoren (Kopiermaschinen) auf. Dann verbünden sich
welche miteinander, um sich gegenseitig das Leben zu verbessern. Am
Schluss entwickeln sie das menschliche Bewusstsein, das den Genen ein
Schnippchen schlagen kann, weil im Bewusstsein auch so eine Art von
Evolution stattfindet. Hier erfindet Dawkins den Begriff der Meme.
Ein Mem ist ein bestimmter Gedankenbaustein, der über die
Generationen vererbt wird, ein Stück Kultur, das mit der Natur der
Gene durchaus im Gegensatz stehen kann. Dawkins hält nun diese Meme
dafür verantwortlich, dass sich die Moral in unser Menschsein
eingeschlichen hat. Er findet die Moral an sich etwas Gutes, solange
sie mit der Vernunft und nicht nur mit der Tradition übereinstimmt.
Und
hier fängt gerade das große Problem an: Wer bestimmt nun, was nur
Traditionelles und was Vernünftiges ist? Da ist doch Nietzsche viel
logischer, der auf den Überlebenskampf in der Tierwelt schaut und
diesen als das Normale betrachtet. Ohne Gott gibt es keinen Maßstab,
an dem die Vernünftigkeit einer Vernunft ablesbar ist. Keine Skala
und keine Maßeinheit für Vernunft oder Unvernunft. Der Mensch auf
sich selbst geworfen, ist dazu verdammt, immer nur sich selbst zu
sehen, sich immer nur an sich selbst zu freuen wie Narziss im
Spiegelbild seiner selbst. Er kann auch seine Mitmenschen immer nur
im Bilde seiner selbst sehen, und das entfremdet ihn von jeder
anderen Person.
Wie
gut ist es doch, zu wissen: Ich
weiß, dass mein Erlöser lebt, und zuletzt wird er sich über den
Staub erheben. (Hiob 19,
25)