Im
zweiten Kapitel seines Buches „Der Gotteswahn“ stellt Dawkins ein
interessantes Tool vor, mit dem er meint, er könne jeden Menschen
irgendwo in eine Schublade stecken. Es handelt sich hierbei um ein
Werkzeug, das ich mal um der Einfachheit halber als „Glaub-o-Meter“
bezeichnen möchte. Der Glaub-o-Meter versucht, das ganze Spektrum
des Glaubens abzudecken. Ich betone bewusst, er versucht. Wir werden
gleich auf dessen Probleme zu sprechen kommen.
Zunächst
ein paar grundlegende Gedanken. Atheisten, und ganz besonders auch
die fundamentalistischen, aggressiv missionarischen Atheisten wie
Richard Dawkins, nutzen häufig mehrere Definitionen für das Wort
„Glauben“ und switchen während eines Gesprächs oder eines
Kapitels im Buch zwischen diesen verschiedenen Definitionen. Das
eigentlichere Problem ist seine Weigerung, den Glauben in seinem Buch
klar zu definieren. Mal vergleicht er den Glauben mit der
Verliebtheit (S. 309), ein andermal muss er ein Lexikon zitieren (den
Eintrag für „delusion“, den Teil des Titels, der mit „Wahn“
übersetzt wird) und meint dazu, dass die Definition „dauerhafte
falsche Vorstellung, die trotz starker entgegengesetzter Belege
aufrechterhalten wird“ (S. 19) eine gute Definition für den
Glauben sei. Alles in allem lässt sich sagen, dass er der Definition
von Peter Boghossian mit größter Wahrscheinlichkeit zustimmen
würde, welcher seinen Jüngern im „Manual for Creating Atheists“
empfiehlt, für das Wort Glauben immer „behaupten, Dinge zu wissen,
die man nicht weiß“ einzusetzen.
Kommen
wir also zum Glaub-o-Meter: Dawkins versucht hier, wie bereits
gesagt, das ganze Spektrum des Glaubens vom Unglauben bis zum Wissen
abzudecken. Hierfür will er sieben Abstufungen entdeckt haben:
„1.
Stark theistisch. Gotteswahrscheinlichkeit 100 Prozent. Oder in den
Worten von C. G. Jung : »Ich glaube nicht, ich weiß.«
2.
Sehr hohe Wahrscheinlichkeit knapp unter 100 Prozent. Defacto
theistisch. »Ich kann es nicht sicher wissen, aber ich glaube fest
an Gott und führe mein Leben unter der Annahme, dass es ihn gibt.«
3.
Höher als 50 Prozent, aber nicht besonders hoch. Fachsprachlich:
agnostisch mit Neigung zum Theismus. »Ich bin unsicher, aber ich
neige dazu, an Gott zu glauben.«
4.
Genau 50 Prozent. Völlig unparteiischer Agnostizismus. »Gottes
Existenz und Nichtexistenz sind genau gleich wahrscheinlich.«
5.
Unter 50 Prozent, aber nicht sehr niedrig. Fachsprachlich: agnostisch
mit Neigung zum Atheismus. »Ich weiß nicht, ob Gott existiert, aber
ich bin eher skeptisch.«
6.
Sehr geringe Wahrscheinlichkeit, knapp über null. Defacto
atheistisch. »Ich kann es nicht sicher wissen, aber ich halte es für
sehr unwahrscheinlich, dass Gott existiert, und
führe mein Leben unter der Annahme, dass es ihn nicht gibt.«
7.
Stark atheistisch. »Ich weiß, dass es keinen Gott gibt, und bin
davon ebenso überzeugt, wie Jung ›weiß‹, dass es ihn gibt.«“ (S. 85f.)
Sich
selbst teilt Dawkins in dieser Liste bei der Nummer 6 ein, bei den
de-facto-Atheisten, die sich am Ende immer noch ein Schlupfloch und
ein kleines Argument für ihre Toleranz offenhalten wollen.
Wo
stehen aber nun Christen? Wenn wir nach den Definitionen von Dawkins
gehen wollen, ist überhaupt das ganze biblische Christentum
außerhalb dieser Liste anzusiedeln. Obige Liste mag für
nichtchristliche Theisten gelten, aber da echte Christen ein
biblisches Glaubensverständnis haben, lassen sie sich nicht in eine
Schublade, die von Äpfeln bis zu Birnen reicht, einteilen. Und genau
da liegt Dawkins' Problem. Er arbeitet häufig über die Grenzen
seines Berufes hinaus, was an und für sich nicht verwerflich ist.
Aber dann sollte man sich mit den Definitionen und Argumenten
beschäftigen, die in diesen Gebieten viel mehr Erfahrung haben.
Philosophisch und theologisch arbeitet Dawkins erstaunlich schwach.
In
seinem früheren Buch, Das egoistische Gen, liefert Dawkins auch eine
Definition für den Glauben. Er schreibt dort: „Ein weiteres Glied
des zur Religion gehörigen Memkomplexes heißt Glaube. Dieser
bedeutet blindes Vertrauen – Vertrauen ohne Beweise und sogar den
Beweisen zum Trotz.“ (S. 305) Diese Definition zeigt, dass er sich
im Gebiet der Theologie bewegt, ohne sich überhaupt mit ihr
ernsthaft beschäftigen zu wollen. Die Definition stammt von ihm, und
es wird wohl sehr wenige Menschen geben, die sich Christen nennen und
mit dieser Definition ihres Glaubens einverstanden wären. Der
Glaube, so meint Dawkins, ist einfach ein Gedankengebilde, das mehr
oder weniger zufällig entstanden ist („Mem“ ist eine
Wortneuschöpfung von ihm und bewusst als eine Parallele zum „Gen“
gehalten), sich dann immer raffinierter weiterentwickelt (auch dies
als Parallele zum egoistischen Gen, das alles tut, um möglichst
viele Generationen zu überleben), aber jetzt sei der Zeitpunkt
gekommen, wo die Vernunft über diese Meme (und die Gene)
triumphieren solle.
Interessant
ist dabei auch, dass Dawkins immer wieder den Glauben den
Gewissheiten gegenüberstellt, welche öffentlich anerkannt und somit
unumstößlich gelten. Kein ernsthafter Wissenschaftler käme jemals
auf die Idee, dass irgendeine Theorie seines Fachs unumstößlich
sei. Im Zeitalter der beiden Relativitätstheorien, der
Quantenphysik, der Heisenbergschen Unschärferelation, des Gödelschen
Unvollständigkeitssatzes und der Chaostheorie bleibt am Ende oft
mehr Zweifel als Gewissheit. Inzwischen sind alle Theorien Newtons
überholt – und doch lernt jeder Schüler immer noch diese falschen
Theorien.
Dabei
sollte man allerdings nicht vergessen, dass Dawkins – besonders im
Buch Das egoistische Gen selbst ein Evangelium predigt: Mit einer
Schöpfungslehre, einem Sündenfall, einer Heilsgeschichte und nicht
zuletzt einer Erlösung. Seine Geschichte beginnt in der Ursuppe, in
welcher sich zahlreiche freie Atome befinden, die sich immer wieder
zusammensetzen und so verschiedene Aminosäuren bilden. Irgendwann
bildet sich durch reinen Zufall auf diese Weise eine
Replikatorsubstanz – eine Aminosäure, welche die Eigenschaft
besitzt, Kopien ihrer selbst herzustellen. Auf diese Weise sei das
Gen entstanden, welches nun versucht, unsterblich zu werden. Es
bildet immer komplexere Gestalten, die das Überleben des Erbgutes
sichern sollen. So ist der Körper eines jeden Lebewesens aus dieser
Sichtweise lediglich als Vehikel der Gene zu sehen.
Im
Laufe der Zeit hätten sich diese Genvehikel immer besser an die
Bedingungen des Überlebens angepasst und in einem Fall sogar eine
Vernunft entwickelt. Diese erlaubt es dem Menschen, zu planen, zu
reflektieren, etc. Um das eigene Überleben besser sichern zu können,
sei so auch die Religion erfunden worden, weil sich dadurch andere
Vehikel kontrollieren und unterdrücken ließen. Doch nun, da sich
diese Vernunft immer weiter entwickelt habe, sei sie nun imstande,
den Egoismus der Gene zu überwinden. Und darin besteht nun für
Dawkins die Erlösung. Der Mensch kann seiner Vernunft gemäß die
Herrschaft der Gene und der Meme überwinden.
Was
insgesamt aber nicht zu überzeugen vermag, denn wenn wir den
Maßstab, den Dawkins an den Glauben anlegt, auch bei seinem
Evangelium anlegen, so zeigt sich die Schwäche seines Ansatzes.
Letztlich sind dann auch die Vernunft und das Dawkinsche Evangelium
nichts anderes als Meme, die im Laufe der Zeit mehr oder weniger
zufällig entstanden sind. Es gibt keine letzte Begründung dafür;
wer daran glauben will, mag daran glauben. Es ist höchst
unwahrscheinlich, dass der Mensch sich selbst erlösen kann; was auch
immer man als Begründung dafür annimmt. Wenn die Gene und Meme
letztgültige Herrschaft über alle Lebewesen ausüben, so könnte
man höchstens sagen, dass die Vernunft eine Illusion sei, die von
den Genen hervorgerufen werde. Damit bleibt der Mensch jedoch in
dieser Illusion gefangen und es gibt keinen Ausweg. Auch hier zeigt
sich, dass der Mensch die Erlösung von außen braucht; er braucht
einen Erlöser, der ihn aus seiner Selbstbezogenheit rettet.